Trennung - Scheidung - Neubeginn

Wie oft stoßen wir an unsere Grenzen, auch in Ehen und Partnerschaften. Die Beziehung ist ein Prozess. Sie entwickelt sich mit uns. Neue Anforderungen stellen sich, neue Ziele wollen gefunden werden. Das heißt aber auch: Wir müssen Abschied nehmen.

Nicht gleich moralisch bewerten

Abschied nehmen von manchen Hoffnungen, uns von Erwartungen trennen, mit Ent-Täuschungen über uns selbst leben. Meist kann auf der neuen Basis die Beziehung "weitergebaut" werden. Manchmal geht es aber gemeinsam nicht mehr weiter. Dann wird die Trennung voneinander zur Grenzerfahrung. in der die Hoffnung nach einem Neubeginn keimt.

Die Auflösung einer Paarbeziehung ist nicht immer dem bösen Willen oder der Nachlässigkeit eines oder beider Partner zuzuschreiben. Auch beim besten Willen, das Leben miteinander zu teilen, können sich Menschen auseinanderentwickeln, so dass ihre Wege mit innerer Notwendigkeit auseinanderführen. Dazu kommt. dass viele Ehen unter sehr ungünstigen Bedingungen begonnen haben, zu einer Zeit, da beide oder einer der beiden noch gar nicht beziehungsfähig waren. Wir wissen heute, dass Partnerwahl und Partnerbeziehung stark von dem geprägt sind, wie wir als Kinder die Beziehung zu unseren Eltern erlebt haben. Der Partner wird oft gewählt, um unerfüllte kindliche Beziehungswünsche zu stillen. Die konkrete Erfahrung mit dem Partner zeigt dann, dass dies eine Illusion ist, und  es kann sehr gut sein, dass es allein diese Illusion war, die die beiden aneinandergebunden hat. Wenn sie platzt und die beiden trotz aller Bemühungen keine andere Basis mehr finden, ist es dann menschlich, zusammenzubleiben? Auch Beziehungen sind dem geschichtlichen Wandel unterworfen, und es kann sein, dass sie eines Tages zu Ende gehen. Wir haben es nicht vollständig in der Hand, das zu verhindern. Um seelisches und körperliches Unheil abzuwenden, kann es darum manchmal notwendig sein, getrennte Wege einzuschlagen. Und es kann unverantwortlich sein, sich selbst, dem Partner und auch den Kindern gegenüber, Gemeinsamkeit äußerlich aufrechtzuerhalten, wenn sie innerlich nicht mehr mit Leben zu füllen ist.

Wir könnten Paaren, die sich trennen und dabei durch alle Höllen des Trennungsschmerzes gehen, unendlich viel Gutes tun, wenn wir sie nicht gleich moralisch bewerten, sondern es wenigstens für möglich halten würden, dass sie evtl. etwas tun, was notwendig oder jedenfalls sinnvoll ist. Wir könnten sie damit von jenen furchtbaren Schuldgefühlen entlasten, mit denen sie sich oft sinnlos quälen.

Kreativität in der Ehe

Eine Trennung ist also nicht immer ein Misserfolg. Manchmal ist sie eine echte, allen zugute kommende Problemlösung. Wenn es so ist, dann kann auch nicht verboten sein, darüber nachzudenken, wie lange es angemessen ist, in einer schwierigen Beziehung weiterzumachen, und wann es Zeit ist, auseinanderzugehen. Früher waren für das Zustandekommen einer Ehe wirtschaftliche oder standespolitische Überlegungen ausschlaggebend und nicht, ob das Paar sich liebte. Heute dagegen sind wir uns einig, dass eine Ehe nur auf der Liebe der beiden Partner gründen sollte. Dementsprechend garantierten früher wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren die Stabilität einer Ehe, während es heute - nicht immer, aber doch in steigendem Maße - wiederum jene Liebe ist, die über Fortdauer oder Auflösung einer Ehe entscheidet. Aber mit der Liebe ist es so eine Sache.

Was ist denn Liebe? Wann ist sie noch da und wann nicht mehr?

Entscheidend, so glaube ich, ist nicht das subjektive, hier und jetzt erlebte Gefühl von Liebe und Zuneigung. Das ist in jeder Beziehung, auch in der besten, nur zeitweise da, und sicherlich verschwindet es in einer Krisensituation. von der wir hier ja sprechen. Entscheidend dafür, ob in einer Beziehung noch die Liebe lebt, ist auch nicht die Frage, ob die Partner sich noch im selben Maß sexuell attraktiv erleben wie am Anfang der Beziehung. Auch sexuelle Attraktivität ist einem Auf und Ab unterworfen, sie flacht ab, hört zeitweise ganz auf. Das heißt aber nicht, dass sie nicht auch wieder aufleben kann. Entscheidend ist weiterhin nicht, ob ein Paar sehr friedlich ist oder viel streitet. Der Friede kann Grabesstille sein und Streit ein Zeichen von Lebendigkeit. Entscheidend ist schließlich auch nicht, wie sehr Sie und Ihr Partner aneinanderhängen, so dass Sie vielleicht meinen, nicht ohne den anderen leben zu können. "Ich kann nicht ohne Dich leben" - dieses Gefühl ist kein Zeichen von Liebe, sondern lediglich eines von Abhängigkeit, von Mangel an erwachsener Reife.

Wie können wir dann  aber feststellen, ob in einer Beziehung  noch Liebe da ist? 

Darauf möchte ich eine einfache Antwort geben:
Liebe ist da, wenn Sie in Ihrer Beziehung noch Zukunft spüren.

Das heißt, wenn Sie spüren: In Ihrer Beziehung ist noch unentdecktes Land und Ihr Partner ist für Sie eine Herausforderung, dieses Land mit ihm zu entdecken. Das Gegenteil davon wäre, wenn Sie in Ihrer Beziehung nur Altbekanntes sehen und nur Grenzen ringsherum und immer nur dieselben ausgetretenen  Pfade, die im Kreis herumführen  oder an diesen Grenzen enden. Ohne Bild gesprochen: In einer Beziehung ist noch Liebe und damit Leben, wenn sie von  den Partnern erlebt wird als Herausforderung  zu gemeinsamer  persönlicher Entwicklung.  Eine Beziehung ist tot, wenn sie  persönliche Weiterentwicklung blockiert.

Zum Beispiel:

Es kann sein, dass zwei Partner  in ihrem Leben eine intensive persönliche  Entwicklung gemacht haben, freier,  selbständiger, reifer geworden sind, nur,  wenn sie als Paar zusammen sind, dann  wird er immer wieder zum kleinen, unaufrichtigen,  schuldbewußten Jungen und sie  zur kontrollierenden, strafenden Mutter,  und beide finden trotz Therapie und ehrlichem  Bemühen keinen Weg da heraus.  Denn sobald sie zusammen sind, laufen  wieder die fatalen Verhaltensmuster, die  sie auf die alten, sonst längst hinter sich  gelassenen Rollen festlegen. In so einem  Fall - und es gäbe noch viele andere ähnliche  Beispiele - ist die Liebe tot. Denn die  Liebe zeugt Leben, und Leben heißt Entwicklung.  Wenn eine Beziehung darum  die Entwicklung blockiert, statt sie zu fördern,  ist sie zerstörerisch geworden. Wenn  es also nicht gelingt, durch die Mittel, die  uns heute zur Verfügung stehen, durch  Beratung und Therapie, diesen Entwicklungsfluss  wieder herzustellen, dann ist es  Zeit, auseinanderzugehen - wenigstens  vorläufig und auf Zeit, um dann zu einer  endgültigen Entscheidung zu kommen. 

Ja, aber die Kinder …

Der Haupteinwand gegen diese Überlegung lautet: Ja, aber die Kinder. Die Kinder leiden Schaden, wenn wir auseinandergehen. Darauf möchte ich sagen: Das muß nicht sein. Im Gegenteil: Wenn die Liebe zwischen Ihnen nicht mehr zum Leben zu erwecken ist und Sie sich dennoch zum Zusammenleben zwingen, werden Sie die familiäre Atmosphäre vergiften und daran werden die Kinder Schaden leiden. In so einem Fall ist das Problem für die Kinder nicht, dass sich die Eltern trennen, sondern wie sie sich trennen. Doch darüber später mehr.

Schuldig sein - schuldig werden? 

Heute möchte ich über die Frage der Schuld bei Trennung und Scheidung sprechen. Meiner Erfahrung nach ist es diese Frage, die den Beteiligten neben dem Trennungsschmerz am meisten zu schaffen macht. Ich habe diese Frage schon gestreift und gesagt, dass Trennung und Scheidung nicht immer mit Schuld zu tun haben müssen, weil es unvermeidliche Entwicklungsprozesse im Laufe eines langen Lebens geben kann, die unausweichlich dazu führen, dass man getrennte Wege gehen muss. Aber natürlich spielt im konkreten Fall auch Schuld für das Scheitern einer Ehe sehr oft eine entscheidende Rolle. 

Die Schuld wird allerdings von den Betroffenen und den Außenstehenden sehr schnell und einseitig einem der beiden zugeschoben und oft an der ganz falschen Stelle. Zum Beispiel: "Der hat die Ehe zerstört, er hat eine Außenbeziehung angefangen!" Mag sein, dass jemand leichtfertig auf eine Außenbeziehung ausweicht. In der Regel aber ist ein solcher Schritt nur die Spitze eines Eisberges, der mit Schuld kaum noch etwas zu tun hat. 

Wo die Schuld beginnt

Persönliche Schuld, die zum Scheitern einer Ehe führt, liegt meist wo anders und beginnt viele Jahre früher. Sie kann zum Beispiel da beginnen, wo die Partner allmählich aufhören, einander Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, so dass ihre Beziehung mehr und mehr zu einem Geschäftsverhältnis, zur Abwicklung der Alltagsangelegenheiten wird. Dass die Sehnsucht nach Nähe, Anerkennung, Achtung und Wärme sich dann mehr und mehr nach außen verlagert und irgendwann einmal draußen tatsächlich jemanden findet, das ist nur konsequent. Schuld ist im Spiel, wenn einer zum Beispiel aufhört, etwas für seine Selbständigkeit zu tun und zum unerträglichen Anhängsel für den anderen wird, oder wenn er sich von der Arbeit so auffressen lässt, dass er als Partner ausfällt, oder wenn die beiden nichts mehr tun, um sich füreinander als Mann und Frau attraktiv zu machen, oder wenn sie aufhören, vom anderen zu fordern, was sie brauchen. Von Schuld können und müssen wir dann und dort sprechen, wenn und wo die Partner aufgehört haben, ihre Beziehung und ihre Persönlichkeit weiter zu entwickeln, und nicht bei der Außenbeziehung. dem Schritt zum Rechtsanwalt oder ähnlich Spektakulärem. 

Selten ist einer „alleine schuld“

Dabei ist es meiner Erfahrung nach so, dass nie einer allein „schuld ist". Wenn Schuld überhaupt im Spiel ist. tragen immer beide ihren Teil daran, und sei es dadurch, dass einer dem andern zuviel hat durchgehen lassen oder sich von seinen Ansprüchen zu wenig abgegrenzt hat. Es wäre meines Erachtens ein riesengroßer Beitrag zu Humanisierung von Trennungsprozessen, wenn die Partner sich angewöhnen würden, statt dem andern sofort alle Schuld in die Schuhe zu schieben, sich selbst zu fragen: Was ist denn mein Anteil daran. dass es so gekommen ist? Wenn ich hier von Schuld spreche, meine ich allerdings fast nie moralische Schuld in dem Sinn, dass jemand dabei ausdrücklich wider besseres Wissen und Gewissen handelt. Sehr oft sind wir in unserem Handeln von unserer eigenen Beziehungsgeschichte beeinflusst. Der Mann, den seine Mutter als Junge mit Fürsorge und Liebesbeweisen überfüttert hat. der wird es schwer haben, in der Beziehung zu seiner Frau Eigeninitiative und Aktivität zu entfalten. Denn er hat gelernt, in Beziehungen zu Frauen passiv zu sein. Und doch kann man auch wieder nicht sagen, hier spiele Schuld überhaupt keine Rolle, denn er weiß ja um seine Geschichte oder er könnte jedenfalls darum wissen. und im Einzelfall könnte er auch anders handeln und tut es trotzdem nicht. Es handelt sich hier nicht um moralische, eher um eine existentielle Schuld. wir sind in sie verstrickt in einer Mischung aus schicksalhafter Gebundenheit und persönlicher Entscheidung. 

Trennung als Konsequenz der Schuld

Manchmal habe ich den Eindruck, dass eine Erlösung aus dieser Schuld nur durch das Erleiden ihrer Konsequenzen, z.B. im Scheitern einer Beziehung möglich wird. Der kleine Junge im Mann, der noch an seiner überfürsorglichen Mutter hängt und zerrt und nicht in die Welt hinaus kann, manchmal wird er erst frei, wenn die Frau dieses Spiel nicht mehr mitmacht und sich trennt. Dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen - und in eine neue Beziehung geht er dann reifer, erwachsener und liebesfähiger. So kann die Konsequenz der Schuld, das Scheitern der Ehe, auch zu einem neuen und glücklichen Anfang werden. 

Eltern bleiben Eltern 

Heute möchte ich über die Kinder im Trennungs- und Scheidungsprozess reden. Ich habe schon mehrmals betont: Trennung muss nicht zwangsläufig schädlich sein für die Kinder. Nicht die Tatsache der Trennung allein bedeutet schon Schaden. Es kommt sehr darauf an. wie die Eltern sich trennen. Oft werden die Kinder als Waffe und Faustpfand im Kampf mit dem Partner benutzt. Daran nehmen sie freilich Schaden. Aber ich weigere mich anzunehmen, das müsste so sein. Ich meine, Erwachsene können sich auch trennen, ohne blindwütig mit ihren eigenen Kindern als Waffen aufeinander einzuschlagen. Das wichtigste, um das zu verhindern, ist meiner Ansicht nach, sich klarzumachen: Elternschaft und Partnerschaft sind zwei verschiedene Dinge. Die Trennung bezieht sich auf die Partnerschaft. Die Elternschaft ist davon betroffen, muss sich in der Form wandeln, aber sie bleibt bestehen. Die Kinder haben nach wie vor ein Recht auf ihre beiden Eltern, und Sie als Erwachsene haben die Pflicht, dem Rechnung zu tragen. 

Kinder aus dem Trennungskonflikt heraushalten 

Das heißt als allererstes. dass Sie im Fall einer bevorstehenden Scheidung die Kinder aus dem Trennungskonflikt heraushalten und nicht zu Bundesgenossen und Vertrauten in der Auseinandersetzung mit dem Partner machen. Ihre Konflikte betreffen die Paarebene, und wenn Sie damit nicht zurecht kommen, gibt es dafür andere Menschen, Freunde zum Beispiel oder noch besser Eheberater und Therapeuten, aber die Kinder dürfen nicht belastet werden. Die Unterscheidung von Paar- und EIternebene bedeutet weiter, dass die Kinder ein Recht auf klare Information haben. Wenn Sie sich zur Trennung entschieden haben, gemeinsam oder einseitig, ist es nötig, dass Sie das den Kindern offen und ohne Beschönigung mitteilen. Dabei ist aber sehr wichtig, dass Sie, vor allem wenn die Kinder noch kleiner sind, sagen, dass die Trennung nicht ihre, der Kinder, Schuld ist, sondern deshalb erfolgt, weil Vater und Mutter sich nicht mehr verstehen. Kinder machen sich nämlich sonst schädliche Phantasien, dass sie die Trennung verursacht hätten. Und ebenso wichtig ist es, dass der Elternteil, der auszieht, deutlich macht, dass der Auszug nicht heißt, dass er sich als Vater oder Mutter verabschiedet, dass er den Kontakt zu den Kindern vielmehr halten und pflegen wird. 

Die Last der Entscheidung bleibt bei den Eltern

Weiter heißt die Unterscheidung von Paar und Elternebene, dass Sie trotz der Trennung auf der Paarebene als Eltern gemeinsame Entscheidungen darüber zu treffen haben, bei wem die Kinder wohnen werden, wessen Aufgabe also die tägliche Sorge für die Kinder sein wird. Diese Entscheidung darf nicht Dritten, dem Gutachter oder dem Richter überlassen werden, und schon gar nicht darf sie den Kindern aufgeladen werden, vor allem wenn sie noch kleiner sind. Denn zu entscheiden, ob sie zu Vater oder zu Mutter wollen, das stürzt sie in schreckliche Loyalitätskonflikte. Natürlich ist es gut, vor allem wenn die Kinder schon größer sind, sie zu dieser Frage zu hören, aber die Last der Entscheidung bleibt bei den Eltern. 

So bald wie möglich wieder normale Beziehungen zueinander herzustellen

Die Unterscheidung von Eltern- und Paarebene besagt schließlich, dass den Kindern ein regelmäßiger Kontakt zum außerhalb lebenden Elternteil gesichert werden muss. Viele Untersuchungen haben erwiesen, dass Kinder dies zu einer gesunden Entwicklung brauchen, und nur ganz besondere Umstände dürften es zulassen, davon eine Ausnahme zu machen. Partnerschaft ist etwas anderes als Elternschaft, und wenn einer der Erwachsenen nicht mehr mit dem anderen auskommt, heißt das noch lange nicht, dass dieser nicht sehr wichtig für die Kinder bleiben würde. Die Kinder fordern uns Erwachsene im Trennungsprozess heraus, auch wenn wir nicht mehr Liebespartner sind, dennoch so bald wie möglich wieder normale Beziehungen zueinander herzustellen und auf der Elternebene wieder zusammenzuarbeiten. Für die Kinder ist es nicht so wichtig, dass ihre Eltern ein Liebespaar sind. Wichtig für sie ist, dass die Eltern sich mit Achtung und ohne Hass begegnen und dass die Kinder zu beiden Kontakt haben dürfen. Wenn wir aufhören würden, bei Trennung und Scheidung zu allererst nach moralischer Schuld zu fragen, würden wir eine wichtige Voraussetzung dafür schaffen, und die Kinder würden es uns danken.

Sie bleiben Vater, Sie bleiben Mutter, auch wenn Sie außerhalb leben

Ich möchte mich heute an den Elternteil wenden, der aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist und die Kinder zurückgelassen hat. Als erstes möchte ich Ihnen sagen, dass mir sehr bewusst ist, wie sehr Sie in besonderem Maße einseitiger Schuldzuweisung und Diffamierung ausgesetzt sind. In den Augen vieler Menschen haben Sie Ihre Kinder im Stich gelassen und das wird Ihnen übel genommen. Wie viel Schmerzen Sie ausstehen gerade wegen der Trennung von den Kindern, mit wie vielen Schuldgefühlen Sie sich deswegen quälen, danach fragt kaum einer. Vor allem, wenn Sie die Mutter sind, die weggegangen ist, bekommen Sie die geballte Ladung kirchlicher und gesellschaftlicher Mutterideologien ab.
Demgegenüber möchte ich Ihnen sagen: Ich habe Achtung vor Ihnen, wenn Sie diese Entscheidung nach reiflicher Überlegung getroffen haben, weil Sie keinen anderen Weg sahen. Mir ist sehr bewusst, wie schmerzlich dieses Weggehen von den Kindern ist, selbst dann und vielleicht gerade dann, wenn Sie sich sagen müssen, dass Sie nicht immer ein guter Vater, eine gute Mutter waren. Ob Sie es früher zugelassen haben oder nicht: Jetzt merken Sie wahrscheinlich, dass es keinen Menschen gibt, der Ihnen so nahe steht wie Ihre Kinder, und es tut sehr weh, mit dem Partner auch die Kinder zurücklassen zu müssen. Gleichzeitig und im selben Atemzug möchte ich Ihnen aber sagen: Seien Sie sich bewusst, dass ihre Wichtigkeit für die  Kinder mit Ihrem Auszug nicht aufhört. Sie bleiben Vater, Sie bleiben Mutter, auch wenn Sie außerhalb leben. Das heißt aber auch: Geben Sie sich nicht der Illusion hin, Sie könnten die Vergangenheit abstreifen wie ein Kleid und ein ganz neues voraussetzungsloses Leben anfangen. Nein, Sie sind und bleiben Vater oder Mutter dieser Kinder. Ihre Kinder brauchen Sie nach wie vor, und sie haben ein Recht darauf und die Verpf1ichtung dazu, Kontakt zu halten.

Dabei ist nicht so sehr die Häufigkeit wichtig wie die Kontinuität. Denn damit erweisen Sie sich Ihren Kindern gegenüber als verlässlich und vertrauenswürdig. Sie brauchen dann nicht die Angst zu haben, mit der sich viele quälen, dass ein anderer, zum Beispiel der neue Freund, die neue Freundin des Ex-Partners für die Kinder wichtiger werden könnte. Wenn Sie die Kinder kontinuierlich treffen und Zeit mit ihnen verbringen, bleiben Sie neben Ihrem Ex-Partner die zweite wichtige Bezugsperson ihres Lebens. 

Bleiben Sie realistisch

Und noch etwas: Quälen Sie sich nicht ständig mit dem Gedanken, wie schlimm diese Trennung für Ihre Kinder sei. Der Schmerz der Kinder ist wahrscheinlich nicht so groß, wie Sie anzunehmen geneigt sind. Wahrscheinlich ist ein guter Teil des Schmerzes, den Sie bei Ihren Kindern vermuten, Ihr eigener Trennungsschmerz. den Sie auf Ihre Kinder projizieren. Der kleine Junge in Ihnen selbst. das kleine Mädchen in Ihnen selbst fühlt sich durch die Trennung verstoßen und Sie meinen. diese Verlassenheit in den Augen Ihrer Kinder zu sehen. 
Bleiben Sie realistisch und verzerren Sie aus diesem Gefühl der Verlassenheit nicht die Tatsachen. Vorausgesetzt, Sie haben eine vernünftige Regelung getroffen, so sehr getrennt von den Kindern sind Sie ja auch wiederum nicht. In wie vielen Familien sind Väter oder berufstätige Mütter nicht wesentlich häufiger für ihre Kinder da und wenn vielleicht häufiger, so doch nicht intensiver als es Ihnen möglich ist, wenn Sie die Kinder zu Besuch haben. Statt Ihr Schicksal und das Ihrer Kinder zu klagen, sollten Sie Ihre Energie darauf verwenden, Ihr Zusammensein kreativ zu gestalten. Die Besuchssituation hat zweifellos ihre Chancen. An wie vielen Wochenenden im Jahr haben Sie sich früher so ausschließlich Zeit für die Kinder genommen wie an den Wochenenden jetzt?

Sonntagsmutter - Sonntagsvater 

Lassen Sie sich nicht als Sonntagsvater oder Sonntagsmutter abwerten: In der Nicht-Alltäglichkeit Ihres Umgangs mit den Kindern liegt auch eine Chance. Je älter die Kinder werden, um so mehr werden sie es Ihnen danken, wenn Sie auf eine von Alltagsabnutzung freigebliebenen Beziehung zu Ihnen zurückgreifen können. 

Es ist ja nicht so, dass die Familie vor der Trennung das Paradies war und nach der Trennung alle vor dem Abgrund des Nichts stehen. Die Familie besteht ja weiter. Nur ihre Form hat sich gewandelt. Und die neue Form hat auch ihre spezifischen Chancen. Statt zu klagen, sollten wir sie nutzen.

Erhalte Dir die Freundschaft 

Angenommen, die Dinge sind geregelt, die Finanzen, die elterliche Sorge, die Besuche beim außerhalb lebenden Elternteil. Wie geht es nun weiter? Ich habe immer wieder betont: Unterscheiden Sie Eltern- und Paarebene. Verwickeln Sie die Kinder nicht in die Probleme, die Sie als Partner mit der Trennung haben. Freilich heißt das nicht, dass es jetzt nicht auch Zeit würde, dass Sie sich selbst mit diesen Problemen befassen. Sie brauchen Zeit und Ansprechpartner für den Abschieds- und Trauerprozess. Eine Menge Schönes war ja sicher auch in dieser Ehe. Davon müssen Sie sich nun verabschieden. Auf jeden Fall gab es da eine Menge Hoffnungen, um deretwillen Sie viel investiert haben, die müssen Sie nun begraben. Von Hoffnungen Abschied zu nehmen, die sich nie erfüllt haben, ist am allerschwersten. Ähnlich wie nach dem Tod eines Menschen das Begräbnis mit seiner Geschäftigkeit verhindert und uns zugleich davor beschützt, den Schmerz zu stark zu spüren, so ist es auch mit den Turbulenzen im Trennungs- und Scheidungsprozess: Während dieser Zeit sind wir nicht dazu gekommen, nach unseren wirklichen Gefühlen zu fragen. Nun, wenn sich die äußeren Verhältnisse wieder konsolidiert haben, wollen sie Raum.

Aus dem Verlust kann ein Gewinn werden

Ich habe den Eindruck, dass viele getrennte Paare deshalb ihre Verhältnisse nicht ordnen und im Dauerstreit verharren, um zu vermeiden, den Schmerz über die Trennung und die begrabenen Hoffnungen zu fühlen. Aber dies zu durchleben ist unbedingt nötig, dann kann die Trennung auch ein Gewinn werden. Es geht dabei nämlich nicht nur um die Trennung von diesem Partner. sondern auch um viele ungelöste Bindungen von früher, zu Eltern, zu Geschwistern, zu früheren Liebespartnern. Sie werden im Erleiden dieses Trennungsprozesses wieder aktualisiert, mitbearbeitet und vielleicht sogar mitgelöst. Dazu brauchen Sie aber Zeit und jemanden, der Sie führt und begleitet. Der ehemalige Partner und die Kinder eignen sich dafür allerdings am allerwenigsten. Sie müssen hier aus dem Spiel bleiben. Ein Freund, eine Freundin können eine große Hilfe sein, manchmal wird in dieser Phase wieder ein Therapeut oder Berater vonnöten sein, damit aus dem Verlust ein Gewinn, vielleicht der entscheidende Gewinn Ihres Lebens wird. 

Sich als Mann und als Frau neu zu finden

Bitte gehen Sie in dieser Zeit nicht gleich wieder eine neue verbindliche Paarbeziehung ein. Geben Sie sich Zeit, sich aus der ersten Beziehung zu lösen. Das braucht länger, als Sie im ersten Zorn der Auseinandersetzung gemeint haben. Ihr Herz ist noch lange nicht frei, und die Gefahr besteht, dass Sie Ihren neuen Partner als Beichtvater, Therapeut oder Erlöser missbrauchen. Die Zeit nach der Trennung ist eine Zeit, in der das Alleinsein gelernt werden muss. 
Freilich heißt das nicht, dass Sie keine Kontakte haben sollten. Im Gegenteil. Das Alleinleben ist für viele gerade die Chance, eine Zeit ihres Lebens nachzuholen, die sie nie wirklich durchlebt haben, die Zeit des jungen Erwachsenenalters nämlich, in der man Freiraum zum Experimentieren hat. Wenn Sie die Kinder bei sich haben, schaffen Sie sich trotzdem den nötigen Freiraum dafür. und meinen Sie nicht, jetzt, wo der andere Elternteil fehlt, müssten Sie zum Supervater oder zur Supermutter werden. Wichtig ist, dass Sie. wenn der außerhalb lebende Elternteil nicht ausreichend zur Verfügung ist, für zusätzliche Bezugspersonen sorgen. Denn Sie brauchen jetzt Zeit und Raum für sich. Die Phase nach der Trennung bietet Ihnen die vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit, sich als Mann und als Frau neu zu finden. Nutzen Sie diese Zeit, halten Sie die Unsicherheiten aus und lernen Sie soviel wie möglich über sich selbst, aus der vergangenen Beziehung, über Ihre Vorstellungen, Wünsche und Ihre unentdeckten Fähigkeiten. 

Der Lebensprozess pendelt ständig zwischen den beiden Polen Trennung und Vereinigung. Sie befinden sich nun gerade auf dem einen Pol des Getrenntseins. Sie werden zu umso tieferer Bindung und Vereinigung fähig werden, je intensiver sie diesen Pol durchleben. 

Hans Jellouschek